Der Atem
Der Atem verbindet uns mit dem Leben. Von all unseren lebenserhaltenden Körperfunktionen nimmt der Atem die wichtigste Rolle ein. Wir können längere Zeit auf Essen, Trinken, Zuwendung oder sogar Liebe verzichten, doch ohne Atem gibt es kein Leben. Der menschlichen und tierischen Atmung, die unter Sauerstoffverbrauch die lebenserhaltenden Verbrennungsprozesse im Organismus unterhält, steht die Atmung der Pflanzen gegenüber, die Sauerstoff nicht verbraucht, sondern ihn im Rahmen der Photosynthese erzeugt. So wird die Sauerstoff verbrauchende Oxidation in wunderbarer Weise ergänzt und es ist nicht übertrieben festzustellen, dass wir über den Atem mit allen lebenden Wesen verbunden sind.
Die Bedeutung des Atems
Der Atem verbindet uns mit dem Leben. Sobald wir aufhören zu atmen, fallen wir aus der Verbundenheit und das Leben hört auf. Die Griechen hatten aus gutem Grund nur ein einziges Wort für Hauch und Seele:
Psyche. Im hinduistischen Atman (urspr.: Lebenshauch) klingt auch unser deutsches Wort Atem an. Die Inder sprechen bis heute von Mahatma, was grosse Seele und grosser Atem zugleich bedeutet. Aber auch wir verschaffen uns mit der Inspiration (wörtl.: Einatemzug) Zugang zu höheren Einsichten. All das zeigt, dass der Atem auch ein Verbindungsglied zwischen Körper und Seele ist, wie der Volksmund schon lange weiss: Wenn wir eine seelische unangenehme und belastende Situation überstanden haben,
atmen wir auf. Nach einer anstrengenden Diskussion in einem geschlossenen Raum gehen wir an die frische Luft und atmen tief durch. Wir versuchen stellvertretend durch den Atem etwas loszulassen, was auf seelischer Ebene entstanden ist. Erfolgreiche Menschen schliesslich erkennen wir an ihrem langen Atem.
Unsere gewöhnliche Art zu Atmen reicht sicherlich zum Überleben. Aber Leben ist viel mehr.
Das «sinnvolle Atmen»
Die Begegnung mit dem eigenen verstärkten Atem kann zu wunder
vollen und sinnlichen Energiephänomenen führen und uns zeigen, dass in uns viel mehr ist, als wir verstehen können. Rituale des bewusst forcierten Atmens haben eine lange Geschichte – bis heute kennen verschiedene Kulturen und spirituelle Traditionen das verstärkte Atmen – so zum Beispiel die indische Yoga-Lehre (Pranayama), auch der islamische Sufismus (Dhikr-Ritual) oder desgleichen die Kung!-Busch-Menschen in der Sahara. Neuzeitlichere Namen und Konzepte sind etwa der Verbundene Atmen (R. Dahlke), Rebirthing (L. Orr), Holotropes Atmen (S. Grof), Quantum Light Breath (J. Kabbal) oder Pneumokatharsis (T. Passie).
Bei solch einem Atemritual werden Ein- und Ausatem ohne Unterbrechung zu einer Art Atemkreis verbunden. Auf diese Weise wird im Blut mehr Sauerstoff bzw.
Prana (hinduist.: Lebensenergie) gesättigt und deutlich mehr Kohlendioxid (= Säure) abgeatmet. Das Ergebnis ist ein entsäuerter Energiehaushalt und eine bewusstseinsveränderte Durchblutung im Gehirn. Diese Veränderung äussert sich nicht nur in einer fliessenden und vibrierenden Lebendigkeit in allen möglichen Körperregionen, sondern auch darin, dass der ungewohnt mächtige Energiestrom an Barrieren und Blockaden brandet und hier zu Empfindungen der Enge und Verkrampfung führt. Wenn die Betroffenen den Atemstrom dann kontinuierlich weiter fliessen lassen, unterstützt durch den Therapeuten, wird seine Kraft immer stärker und kann Blockaden schliesslich wie «wegspülen», was Befreiung und Erleichterung mit sich bringt, die bis in transzendente Bereiche führen können: Heilsame Gipfel- und Kernerlebnisse sind dabei nicht selten Teil des Weges. Der Atem wird hier gleichsam zum therapeutischen «Königsweg».
In einem Energiesystem, das nicht oder nur selten gespürt wird, wirkt der Überfluss an Lebenskraft bzw. Prana manchmal wie eine Revolution, manchmal wie eine sanfte, aber bestimmte Reformation und Neuordnung der Energieverhältnisse. Unberührt lässt er kaum jemanden. Selbst hart gesottene Realisten und Materialisten befinden sich nach einer halben Stunde verbundenen Atmens in Welten, in denen Energien und Seelenbilder bestimmend sind und Kritik und Ratio zurücktreten.
Das unglaubliche Gefühl von Freiheit danach, die neu gewonnene Möglichkeit, be
freit durchatmen zu können, die unbeschreibliche Leichtigkeit des Seins lassen beim voll Atmenden einen tiefen Sinn solchen Erlebens entstehen.
...
«Was wir ICH nennen,
ist nur eine Schwingtür,
die sich bewegt,
wenn wir einatmen und ausatmen.» Shunryu Suzuki (1904-1971)